Vergleich des Hochschulsystems in Frankreich und Deutschland
Seit der Unterzeichnung der Bologna-Erklärung im Jahr 1999, ein Prozess, der zur Harmonisierung der Hochschulsysteme in 48 Ländern des europäischen Kontinents und darüber hinaus führte, sind die europäischen Studierenden mobiler als je zuvor und können problemlos in Erwägung ziehen, im Ausland zu studieren oder ihr Studium aufzunehmen. Die Unterzeichnerstaaten (des Bologna-Prozesses), darunter Frankreich und Deutschland, haben sich auf viele Punkte im Bereich der Hochschulbildung geeinigt, wie z.B. die Gliederung des Hochschulstudiums in zwei Zyklen, d.h. einen Bachelor-Abschluss gefolgt von einem Master-Abschluss, oder die Einführung der berühmten ECTS-Credits (European Credits Transfer System), die es den Studierenden ermöglichen, ihre Studienleistungen außerhalb ihres Herkunftslandes anerkennen zu lassen.
Der Bologna-Prozess hat enorm zur Vereinheitlichung der Hochschulbildung beigetragen, aber es gibt nach wie vor Unterschiede zwischen den europäischen Ländern, und jedes System hat bestimmte Besonderheiten beibehalten, wie dies in Frankreich und Deutschland der Fall ist. In diesem Artikel werden wir versuchen, diese Unterschiede zu analysieren, wobei das Ziel nicht darin besteht, den Preis für das beste Land im Hochschulbereich zu verleihen, sondern ein vergleichendes Porträt des französischen und des deutschen Hochschulsystems zu zeichnen.
Das Muster der Post-Abitur Studiengänge in Frankreich und Deutschland
Zunächst dient das Abitur, ebenso wie das Baccalauréat in Frankreich, als Einstiegspass in den Hochschulen für deutsche Gymnasiasten nach 12 oder 13 Schuljahren, wobei die Dauer dieser Schulzeit in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich ist.Der Abiturdurchschnitt der deutschen Gymnasiasten spielt eine große Rolle und wird als "Numerus clausus" bezeichnet. Dieses Zeichen hat einen großen Einfluss auf die Zukunft junger Deutscher, da es diese automatisch disqualifizieren kann, wenn sie sich für begehrte und anspruchsvolle Studiengänge wie Medizin, Jura oder Psychologie bewerben.
Deshalb streben die ehrgeizigsten deutschen Gymnasiasten in ihren letzten beiden Jahren am Gymnasium die bestmöglichen Ergebnisse an, in der Hoffnung, die Traumnote 1,0 zu erreichen, die ihnen die Türen zu allen Universitäten aller Fachrichtungen öffnet.
Frankreich verfolgt bei der Rekrutierung von Medizinstudenten eine völlig unterschiedliche Strategie: So nehmen die französischen Fakultäten fast alle Bewerbungen an, so dass es den Studenten obliegt, sich im Laufe des Jahres in einem Klima extrem harter Konkurrenz zu bewähren, um den Übergang in das zweite Studienjahr zu verdienen. Die Herangehensweise bei der Rekrutierung ist also nicht dieselbe: In Deutschland ist der Zugang zum Medizinstudium sehr selektiv, während in Frankreich die Fakultäten mit möglichen Studienabbrüchen und Misserfolgen rechnen, die natürlich zu einem Rückgang der Zahl der Medizinstudenten führen werden, wobei am Ende die besten Leistungsträger übrig bleiben.
Für traditionellere Universitätsstudiengänge wie Soziologie, Geschichte oder angewandte Fremdsprachen sollten sich deutsche Studierende direkt an die Fakultät wenden, die sie besuchen möchten. Die Bewerbungsverfahren und -kriterien unterscheiden sich von Fakultät zu Fakultät. Viele Fakultäten nutzen auch Agenturen für das Bewerbungsmanagement, wie hochschulstart.de oder uni-assist.de, die Bewerbungen direkt online bearbeiten.
In Frankreich werden alle Anträge von einem einzigen zentralisierten System bearbeitet: Parcoursup. Alle Ausbildungskurse (mit einigen Ausnahmen) sind auf der Parcoursup-Plattform referenziert, die es Gymnasiasten ermöglicht, sich mit wenigen Klicks in mehr als zehn Einrichtungen zu bewerben, ohne sie einzeln kontaktieren zu müssen. Das Konzept dieser Plattform ist vielversprechend, leidet aber wegen ihres Algorithmus, dem es an Transparenz mangelt und dem vorgeworfen wird, ungleich zu sein, sehr an der Kritik.
In Deutschland, wie auch in Frankreich, können sich die Studierenden daher an einer Universität oder Fachhochschule einschreiben, die einem IUT entspricht und eine Ausbildung mit starkem Praxisbezug in den technischen Bereichen wie Ingenieurwesen oder Informatik anbietet. Auf beiden Seiten des Rheins ist es möglich, an arbeitsgebundenen Ausbildungskursen oder sogar an einer Lehre teilzunehmen, obwohl es scheint, dass diese Kurse in Deutschland viel beliebter sind als in Frankreich. In Deutschland gibt es demzufolge fünf- bis sechsmal mehr Azubis (Auszubildende) und duale Studenten als in Frankreich.
Darüber hinaus gibt es in Deutschland nur sehr wenige private Schulen und Hochschulen, und das Schulkonzept ist mit Ausnahme der WHU Otto Beisheim School of Management und der ESB Reutlingen nicht sehr weit verbreitet und bei deutschen Studierenden weniger beliebt.
Frankreich hingegen, hat in den letzten zehn Jahren eine unüberschaubare Zahl an Wirtschafts- und Managementschulen auf seinem Territorium entstehen sehen, es gibt im französischen Mutterland heute mehr als 200 davon, eine Rekordzahl in Europa. Diese Einrichtungen, ob öffentlich oder privat, verwalten die Anträge selbst und verwenden nicht die bereits erwähnte Parcoursup-Plattform. Die französischen Studenten sind von diesen Schulen begeistert und brechen ihr Studium gerne zugunsten dieser hochmodernen Einrichtungen ab, die oft sehr teuer sind und über ein gut ausgebautes Kontaktnetz in der Berufswelt verfügen.
Eine weitere sehr französische Besonderheit sind die grandes écoles und die classes préparatoires aux grandes écoles (CPGE), die die Aufnahmeprüfungen für den Eintritt in diese angesehenen Einrichtungen vorbereiten. Die grandes écoles bieten Exzellenzstudiengänge in verschiedenen Bereichen wie Politikwissenschaft (SciencesPo), Wirtschaft (HEC), Journalismus (ESJ Lille) oder Verwaltung (ENA) an. Um in diesen Schulen aufgenommen zu werden, muss man Wettbewerbsprüfungen ablegen, ein sehr französisches Zulassungsverfahren, dessen Tests extrem schwierig sind und viel Arbeit im Vorfeld erfordern. Die Vorbereitungsklassen dienen dazu, die Schüler auf diese Prüfungen vorzubereiten. Der den Schülern auferlegte Rhythmus ist sehr ausgeprägt, und die Lehrer, die dort unterrichten, haben sehr hohe Erwartungen an diesen Schülern. Ein Jahr in "Prepa“ ist gleichbedeutend mit Opfern und kommt dem Ende allen gesellschaftlichen Lebens für ein Jahr gleich, die Arbeitsbelastung ist kolossal und der Wettbewerb hart, da die Zahl der Zulassungen zu diesen Prüfungen sehr begrenzt ist.
Die Erwartungen und Anforderungen an die Hochschulbildung in Frankreich und Deutschland
In Frankreich ist es für die Universitäten eine Ehrensache, dass die Studenten eine fast systematische Anwesenheitsliste erstellen und sicherstellen, dass die Studenten ihr Studienjahr religiös bestehen. Dieses System mag das Bild eines etwas kindlichen Bildungssystems vermitteln, aber es trägt dazu bei, dass junge französische Hochschulabsolventen daran gewöhnt werden, sich an einen strengen Rahmen anzupassen und eine ganze Reihe von Aufgaben in einer begrenzten Zeit zu erledigen, da sie während ihres gesamten Studiums an diese Vorgehensweise gewöhnt sein werden. Das deutsche Universitätssystem hingegen lässt seinen Studenten viel Freiheit und geht das Risiko ein, dass sie etwas verwirrt werden, weil es davon überzeugt ist, dass dies immer noch die beste Lösung ist. Junge Menschen sind dazu gezwungen, schon sehr früh Verantwortung für ihre Zukunft zu übernehmen und sich selbst zu versorgen, denn niemand wird Alarm schlagen, wenn sie aufgeben. Ein deutscher Student wird die Freiheit haben, seinen eigenen Stundenplan zu erstellen und selbst zu entscheiden, wann er Prüfungen ablegt - das mag zwar traumhaft erscheinen, erfordert aber ein hohes Maß an Autonomie und Organisation, und dies schon im ersten Semester.
Es gibt kein besseres System als das andere, es hängt alles vom Profil der Studenten ab. Ein eigenständiger und disziplinierter Student mag eher dazu geneigt sein, das deutsche Universitätssystem für die Freiheiten, die es bietet, zu bevorzugen, während ein anderer Student, der genauso gut wie der erste ist, es vorzieht, angeleitet zu werden, Pflichtkurse und Hausaufgaben nach jedem TD aufzuhaben, wie es zum Beispiel in einer classe prépa in Frankreich oftmals, der Fall ist.
Abschließend werden wir feststellen, dass sich diese beiden Hochschulsysteme wie Deutschland und Frankreich in vielerlei Hinsicht unterscheiden, aber beide nach wie vor sehr qualitativ und im Ausland anerkannt sind. Frankreich und Deutschland liegen in der Tat Kopf an Kopf, was die Attraktivität und die Fähigkeit betrifft, Studenten, insbesondere aus dem Ausland, aufzunehmen. Beide Länder gehören zu den Top 5 der für ausländische Studierende attraktivsten und beliebtesten europäischen Länder (Quelle: EU-Länderranking 2017). Schließlich lade ich diejenigen, denen es schwer fällt, sich für die Fortsetzung ihres Studiums zwischen beiden Ländern zu entscheiden, ein, sich an die Deutsch-Französische Universität zu wenden, die 186 bi- und trinationale Studiengänge anbietet. Ihre Bachelor- und Masterstudiengänge sind sehr reichhaltig und decken alle Fachrichtungen ab. Viel Glück und Erfolg an alle Schülerinnen und Schüler auf beiden Seiten des Rheins!
Von DenkFabrik - 1. Oktober 2020 - Kartes Blanches
Von Emma Nora Müller
Foto: Uwe Engel / Verwaltung Uni Köln
Petit guide comparatif des études supérieures en France et en Allemagne – DenkFabrik (generationdavenir.fr)